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Homöostase, Entropie und Salutogenese

Denken Sie mal nach: In welchen Situationen fühlen Sie sich entspannt?

Warum reden Jugendliche häufig vom „Chillen“?

Kennen Sie Erwachsene, die „ständig unter Strom“ stehen?

Wie geht es Ihnen persönlich?

Was hat es auf sich mit dem zunehmenden Alltagsstress in unserer beschleunigten Gesellschaft und den diametral gegenüberstehenden Angeboten von Wellness und Entspannung?

Was sind die Ursachen von Krankheiten?

Es ist ein Faktum, dass alle Lebewesen dieser Erde folgende Ureigenschaft besitzen: Sie sind in der Lage, ihre innere Ordnung aufrechtzuerhalten mithilfe vielfältiger Energieübertragungsmechanismen. Sie nehmen dabei Energie aus der Umgebung auf und wandeln sie im Inneren um. Pflanzen betreiben Photosynthese. Tiere atmen. Und es gibt noch weitere Mechanismen, wenn wir beispielsweise einige Bakterienarten betrachten. Ein kleiner Ausflug also in die Wissenschaft der Biologie, einer noch relativ jungen Naturwissenschaft. Wieso das hier, an dieser Stelle? Was will uns der Autor damit sagen?

Nun, ich persönlich halte es für wesentlich, zugrunde liegende Zusammenhänge aufzudecken und in unseren Alltag, unser Leben zu transferieren.

Aber wieso nun die Biologie an dieser Stelle? Warten Sie ab! Es geht noch weiter:

Haben Sie schon einmal von den Grundsätzen der Thermodynamik gehört? Es gibt nämlich ein naturwissenschaftliches Grundgesetz, dass die Unordnung in Ihrer leblosen Umwelt permanent zunimmt. Sicher haben Sie schon einmal davon gehört, dass das Universum sich ausdehnt. Die Physikalische Chemie kennt hierfür den Begriff der Entropie.

Um wieder auf uns Menschen bzw. Lebewesen im Allgemeinen zurückzukommen: Das Aufrechterhalten einer inneren Ordnung, der sogenannten Homöostase, ist das, wonach wir alle streben. Während des Vorgangs der Wiederherstellung eines inneren Gleichgewichts nimmt die Entropie aber nicht zu, sondern ab und ist demnach negativ. Ich glaube, dass die Abwesenheit dieses Gleichgewichts langfristig zur Entstehung von Krankheiten führt. Je nach Umweltsituation, Ernährungsweise, Stress, eigener Einstellung und mit zunehmendem Alter mag es für den Menschen mehr oder weniger schwer sein, sich einem Gleichgewicht anzunähern. Ich spreche von Annähern, weil es sich bei der Homöostase um einen Idealzustand handelt, den wir nie erreichen können.

Sicher könnte man jetzt noch ausholen und die zunehmende Zerstörung unserer Umwelt als Begleitphänomen einer wachsenden, weltweiten Bevölkerung erläutern. Wir verbrauchen Ressourcen, versuchen unser inneres Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, auf Kosten unserer Umwelt. Auch die Frage nach Macht und Ohnmacht, nach Oben und Unten in einer Gesellschaft steht sicherlich in diesem Zusammenhang. Sie sehen, wir streifen dadurch auch andere Wissenschaften, wie die Ökologie und die Soziologie. Auf die Medizin möchte ich später kommen.

Erinnern Sie sich noch an unsere Eingangsfragen: Es ging um Anspannung und Entspannung. Damit sind wir beim Thema Stress. Interessanterweise wurden in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Grundlagen zur Stressforschung gelegt. Kannte man vorher keinen Stress? Ich denke schon. Aber als gesamtgesellschaftliches Phänomen trat es erst im 20. Jahrhundert verstärkt in Erscheinung, in Folge von Prozessen wie Industrialisierung und damit einhergehender zunehmender Arbeitsteilung, Beschleunigung und Technisierung. In seinem Stressmodell, dem Allgemeinen Anpassungssyndrom, beschreibt er, dass es in Folge eines einwirkenden Stressors zu einer Ausgleichsbewegung kommen muss. Dies stellt er sich vor als Schleife von einer anfänglichen Anspannungs- hin zu einer Entspannungsphase, die als solche auch physiologisch messbar ist. Hierbei ist sowohl der Sympathikus als auch der Parasympathikus beteiligt.

Was hat das nun zu tun mit den bisherigen Ausführungen? Nun, das innere Gleichgewicht, die Homöostase, kann so im Idealfall wiederhergestellt werden. Insofern sind wir wieder bei der Tendenz von Organismen, negative Entropie anzustreben. Wir alle wollen unsere innere Ordnung aufrechterhalten. Oder, wie sehen Sie das?

Hierbei streifen wir noch weitere Wissensgebiete wie die der Psychologie und der Medizin. Ich persönlich glaube, dass sich diese beiden Wissenschaften gar nicht so sehr unterscheiden. Für erstaunlich halte ich die Tatsache, dass sich in unserer westlichen Welt in den vergangen Jahrhunderten beide Fachgebiete vorwiegend deskriptiv und pathogenetisch  orientiert verhielten. Was will ich damit sagen? Unsere westliche Welt dachte in der Vergangenheit und denkt, meist immer noch, zu sehr linear und zwar in Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Sowohl die Psychologie als auch die Medizin war die Lehre von psychischen sowie körperlichen Erkrankungen. Die Einheit von Körper und Psyche wurde lange Zeit negiert. Die zentralen Frage waren: Was macht krank? Was sind die Ursachen für Erkrankungen?

Wir scheinen nun aber in ein Zeitalter zu gelangen, in dem fernöstliche und westliche Psychologie und Medizin immer mehr Überschneidungen finden. Es ist nach wie vor so, dass sich die westliche, klassische Schulmedizin in ihrer pathogenetischen Orientierung immer noch darauf fokussiert, was (unter Zunahme von Entropie) „normalerweise selbstregulierende, homöostatische Prozesse entreguliert“ (Antonovsky 1997, S. 22). Woher kommt diese negative Herangehensweise? Vielleicht hat ein Historiker eine Antwort. Jedenfalls kennt im Gegensatz zur westlichen Denkweise die fernöstliche Medizin bereits seit Jahrtausenden das Chi als positive Lebensenergie. Man kann es gar nicht überbetonen, dass China zu den ältesten Zivilisationen und Hochkulturen der Menschheit gehört. Wieso also immer noch diese westliche Dominanz?

Es brauchte einen israelisch-amerikanischen Soziologen namens Aaron Antonovsky (geboren 1923 in USA und gestorben 1994 in Israel) und die von ihm durchgeführten Studien von Überlebenden aus Konzentrationslagern, um im Westen erstmals einen anderen medizinischen Blickwinkel zu gewinnen. Er war der Erste in der westlichen Welt, der folgende Frage stellte: Was hält und macht gesund? Und nicht mehr: Was macht krank? Er ging von einer defizitären zu einer ressourcen-orientierten Sichtweise in den Bereichen Gesundheit und Krankheit über. Man nennt ihn den Begründer der „Salutogenese“. Er erkannte den „ständige[n] Druck auf zunehmende Entropie“ an (Ebd.), überwand aber die Dichotomie der Schulmedizin, der Unterscheidung zwischen gesunden und kranken Menschen, indem er das „Gesundheits-Krankheits-Kontinuum“ (Ebd., S. 22 f) einführte, auf dessen Pol wir uns lebenslang bewegen. Außerdem interessierte er sich eher für Fragen, wie Gesunderhaltung ermöglicht wird, er richtete also seinen Fokus stärker auf die menschlichen Ressourcen. Er sah es als essentiell an, nach der Lebensgeschichte der betreffenden Person bzw. nach der Ätiologie von Erkrankungen zu fragen (Ebd., S. 24) und anstelle von Risiko- eher Gesundheitsfaktoren, die im Zusammenhang mit Coping stehen, in den Blick zu nehmen (Ebd., S. 24 f). Stressoren betrachtete er nicht ausschließlich als schädlich, sondern beschrieb die Möglichkeit, dass „ein hohes Ausmaß an Stressoren bei gleichzeitigem hohen Ausmaß an sozialer Unterstützung [sich als] gesundheitsfördernd“ (Ebd., S. 26)  herausstellen kann. Kennen wir die Geschichte einer Person, so brauchen wir nach Antonovsky weniger über die Erreger wissen, die eine bestimmte Erkrankung auslösen. Er wies hierbei auf die Tatsache hin, dass wir uns unweigerlich an eine „mit Stressoren angefüllte Umgebung“ (Ebd., S. 27) anpassen müssen und nannte diese Tatsache aktive Adaption (Ebd.). Im Gegensatz zum Pathogenetiker interessierte er sich stärker für den abweichenden Fall und weniger für eine Bestätigung von (Krankheitsentstehungs-)Hypothesen (Ebd., S. 28 f). Insgesamt plädierte Antonovsky aber dafür, dass sowohl die Salutogenese als auch die Pathogenese als komplementäre Sichtweisen anzusehen seien, die sich ergänzen können.

1979 stellte er in einem Buch „Health, Stress and Coping“ erstmals sein Konzept des Kohärenzgefühls, auf Englisch „Sense of Coherence“ oder kurz SOC vor. Er entwickelte es ausgehend von einer Befragung von über 50 Personen, die alle durch ein schweres Trauma gekennzeichnet waren (Ebd., S. 34) und beschrieb es als „eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat“ (Ebd., S. 36) und zwar in folgenden drei Bereichen, die zugleich die Hauptbestandteile des SOC  ausmachen: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit (Ebd., S. 34 ff). Bei der Verstehbarkeit geht es darum, inwiefern Stimuli als „kognitiv sinnhaft […], als geordnete, konsistente, strukturierte und klare Information und nicht als Rauschen“ (Ebd.) wahrgenommen werden können bzw. es geht um das Vertrauen, dass diese auch vorhersehbar und erklärbar sind. Die Handhabbarkeit als zweite Komponente bezieht sich auf das Vertrauen, dass „einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen“ (Ebd.). Die dritte Komponente Bedeutsamkeit, das „motivationale Element“ (Ebd., S. 35), stellt das Vertrauen darauf dar, dass „diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen“ (Ebd., S. 36). Man könnte es synonym auch mit Sinnhaftigkeit umschreiben.

Empfinden Sie Sinn in Ihrem Leben?

In welchen Momenten empfinden Sie Ihr Leben als besonders sinnvoll?

Ist es in unserer Zeit schwieriger geworden, Sinn zu finden?

Sicherlich stellt uns das heutige Leben vor zahlreiche, zum Teil überfordernde Herausforderungen. Gerade in solchen Situationen wird es immer wichtiger, sich immer wieder neu zu justieren, auszurichten, weiterzugehen. Selbstreflexion und Austausch mit anderen kann dabei hilfreich sein.

Literaturquellen:

Antonovsky, Aaron (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen.

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